Fit für's Leben? Was ein Welpe lernen muß

Die Entwicklung des Haushundes ist dank zahlreicher Verhaltensforscher und Ethologen hinreichend erforscht und beschrieben. Dr.Dorit Feddersen-Petersen, Eberhard Trumler und Erik Ziemen haben hier großartige Leistungen vollbracht, um die einzelnen Lebensphasen des Haushundes aber auch des Wolfes und der Hybriden aus beiden zu erforschen und zu dokumentieren.
Im Wesentlichen unterscheiden sich die einzelnen Phase vor allem in Hinblick auf die Sinneswahrnehmungen des Welpen und die Reizverarbeitung. Am Ende steht - zumindest ist es so erwünscht beim Haushund - ein Hund, der optimal auf das Leben in der menschlichen Familie vorbereitet ist und sich möglichst unauffällig gegenüber Artgenossen und der belebten sowie unbelebten Umwelt verhält. 
Wenn man heutzutage in die Hundeschulen schaut oder auch nur auf der Straße die einzelnen Momentaufnahmen, scheint dieser wichtige Ansatz in der Praxis nicht zu gelingen. Wir treffen dort draußen auf Hunde, die an der Leine zerren, die Aggressionsverhalten gegenüber Artgenossen oder Menschen zeigen. Wir sehen Hunde, die unerwünschtes Beutefangverhalten an den Tag legen oder das eigene Grundstück gegen Besucher und Eindringlinge verteidigen. Es stellt sich mir die Frage, ob wir noch nicht genug wissen oder die Umsetzung auf falschen Grundlagen erfolgt. Schauen wir uns hierzu die Welpen der Pariahunde an:

Die Hündinnen der Pariahunde sind natürlich nicht kastriert oder sterilisiert. Für eine künstliche Geburtenkontrolle fühlt sich niemand zuständig und im Zweifel fehlt es auch an Geld. Die Menschen in Asien haben oft nicht einmal genug, um für sich selber zu sorgen, leben in sehr ärmlichen aber dennoch ursprünglichen Verhältnissen. Für die Straßenhunde interessiert sich niemand wirklich. Es deutet vieles darauf hin, daß die Pariahunde zweimal im Jahr läufig werden, auch wenn dies zunächst nur eine Vermutung von mir ist. Wölfe im Gegensatz werden in der Regel nur einmal im Jahr fortpflanzungsbereit, während zum Beispiel Eberhard Trumler beschreibt, daß die Dingos in Australien zweimal jährlich in die Ranz kommen. So kann man davon ausgehen, daß die Pariahunde in Asien die Dingos der Australier sind und ebenso zweimal jährlich Welpen bekommen können.
Die erwachsenen Hündinnen sind in der Regel leicht zu erkennen, da sie meistens alleine unterwegs sind und immer ein ausgeprägtes Gesäuge haben. 
Wölfe hingegen bilden eine stabile Familiengruppe, bestehend aus den Elterntieren und dem Nachwuchs der zurückliegenden Jahre. Wölfe leben streng monogam, wechseln also den Partner in der Regel nicht. Nahezu alle Aktivitäten außerhalb des inneren sicheren Umfeldes finden gemeinsam statt. Nur die Welpen bis zu einem bestimmten Alter verbleiben unter der Aufsicht eines Jungtieres am Bau, wenn die Eltern und älteren Geschwister zum Beispiel jagen gehen. Wölfe bilden eine Jagdgemeinschaft, da die Beutetiere in der Regel so groß sind, da sie alleine nicht erfolgreich wären. 

Bei den Pariahunden konnte ich folgende Konstellationen beobachten: Einzeltiere waren in der Regel Hündinnen, die alleine oder mit einem oder maximal zwei Welpen oder Junghunden auf Nahrungssuche waren. Beobachtete ich zwei Tiere, war der Eindruck stets, daß sie sich gegenseitig tolerieren, aber nur zufällig gleichzeitig am selben Ort waren. Sie traten nicht in Interaktion miteinander, es war kein Spiel zu erkennen, keine gegenseitige Kommunikation. Waren drei oder mehr Tiere zusammen, konnte ich Synchronisationen des Verhaltens sehen. Alle schnupperten, alle liefen hintereinander die selbe Strecke, alle spielten oder alle ruhten. Gerade im sozialen Kontext waren alle mit der gleichen Aktivität beschäftigt. Im Jagdverhalten bzw. Beutefangverhalten habe ich keinerlei Beobachtungen machen können. Es hatte den Anschein, sie würden nicht jagen, sondern tatsächlich ausschließlich die Hinterlassenschaften der Menschen vernichten. 
Bestand die Gruppe aus mehr als drei Tieren, waren gelegentlich einzelne weibliche Tiere dabei, allerdings handelte es sich bei allen Beobachtungen um junge Hündinnen. Das lässt den Schluß zu, daß die Pariahunde wenn überhaupt nur zum Zweck der Paarung kurzzeitig eine gewisse Gruppensituation mit Hündinnen bilden. Ansonsten sind die Hündinnen auf sich allein gestellt und kümmern sich ohne soziale Unterstützung wie wir sie von den Wölfen kennen, um den Nachwuchs. Dies mindert ebenfalls die Lebenserwartung der Welpen. Geht die Hündin auf Nahrungssuche, muß sie die Welpen sich selbst überlassen. Diese sind für Freßfeinde eine leichte Beute, aber auch für Artgenossen. So ist es unabdinglich, daß die Welpen sehr früh mit dem Lernen für's Leben beginnen müssen.
Das Muttertier bringt die Welpen in einem geschützten und in der Regel schwer zugänglichen Versteck zur Welt. Dies kann eine leere Betonröhre sein oder ein Hohlraum unter einer Betondecke, aber auch gegrabene Höhlen zum Beispiel unter Schutt und Geröll habe ich gesehen. Zunächst bleibt das Muttertier bei den Welpen, verlässt diese nur kurz, um sich zu lösen oder Nahrung aufzunehmen, manchmal nicht einmal das. Während dieser Zeit sorgt die Mutter für das bedingungslose Erfüllen der Grundbedürfnisse der Welpen nach Sicherheit, Schutz und Nahrung. Wärme muß die Mutter in der Regel nicht spenden, da die Tages- und Nachttemperatur stets bei 30°C liegt. Trotzdem wird sie die Welpen zauberlecken, damit Kot und Urin keine Feinde anlocken können.
In den ersten Lebensstunden erfährt der Welpe eine Erfüllung seiner Bedürfnisse und lernt seine Mutter und die Geschwister kennen. Der Geruchssinn ist schon früh entwickelt und der Tastsinn ebenfalls, damit der Welpe direkt nach der Geburt die so wichtige Kolostralmilch aufnehmen kann. Er sucht sich instinktiv eine Zitze und beginnt zu saugen, sobald die Mutter ihn trocken geleckt hat. Diese erste Milch beinhaltet Abwehrstoffe gegen Infektionen und notwendige Darmbakterien für den Aufbau einer Darmflora. Bekommt der Welpe diese Milch nicht, ist er dem Tode geweiht. Die Hündin hat acht Zitzen. Wieviele Welpen geboren werden, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich keine neugeborenen Welpen beobachten konnte. Denkbar ist aber, daß nicht mehr als vier Welpen in einem Wurf sind.
Solange das Muttertier für Schutz sorgt und die Welpen noch nicht mobil sind, lernen sie vor allem, daß die Mutter für Sicherheit sorgt, als Puffer vor der Öffnung der Wurfhöhle liegt und die Welpen beschützt. Sie tut gut daran, sich möglichst unauffällig zu verhalten, keine Geräusche zu machen oder Gerüche zu hinterlassen, um keine Aufmerksamkeit von Feinden zu erregen. Die Welpen lernen schon jetzt, sich möglichst ruhig und unauffällig zu verhalten.
Sobald die Welpen etwas mobiler sind, Augen und Ohren sich geöffnet haben, beginnt der nächste gefährliche Lebensabschnitt. Die Welpen erkunden nun die nähere Umgebung, trauen sich auch schon ein paar Schritte aus der Wurfhöhle heraus. Unrat wird ins Maul genommen und probiert, aber auch mit Geschwistern gespielt und Angriff und Verteidigung geübt. Dies sind lebensnotwendige Fertigkeiten, die dem Hund das spätere Überleben sichern. Noch sind die Welpen zu jung, um gegenüber erwachsenen Hunden aggressives Verhalten zu zeigen. Kommt es zu einem Kontakt der Welpen vor der Wurfhöhle zu einem Artgenossen, verhalten sich diese submissiv und unterwürfig. Die Ohren werden nach hinten gelegt, der Kopf von unten nach oben zum Artgenossen gerichtet, der Rücken ist rund, die Beine eingeknickt, die Rute eingezogen. Dieses Verhalten ist zum Teil instinktgesteuert, aber auch erlernt. Wenn nämlich das Muttertier von ihren kurzen Streifzügen zurückkehrt, versuchen die Welpen mit dem Schnauzenstoss die Hündin zu animieren, Futter hervor zu würgen. Dieses Verhalten ist begleitet von der oben beschriebenen submissiven Körpersprache. Der Welpe lernt also schon früh, daß Unterwerfung eine Antwort auf die Anwesenheit erwachsener Tiere dafür sorgt, daß ihm nichts passiert.
Die Welpen lernen aus Erfahrung, wenn ihr gezeigtes Verhalten die erwünschte Konsequenz hat. So erfahren sie auch schon früh die Beißhemmung, sofern sie mit Geschwistern leben. Die Beißhemmung entsteht im Spiel, wenn ein Welpe zu fest zubeisst, dann erfolgt ein Abbruch des gemeinsamen Tuns. Der beissende Welpe macht die Erfahrung: Wenn ich zu fest beiße, ist das Spiel vorbei. Was im gemeinsamen Spiel aber auch gelernt wird, sind die Erfahrungen, wie der einzelne Hund einzuschätzen ist. In der Regel gibt es schon Unterschiede zu erkennen, wer das Sagen hat und wer eher klein beigeben muß. Jedes Tier macht seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Wurfgeschwistern aber auch mit anderen Artgenossen. Die Welpen lernen aber auch am Verhalten der Mutter. Je nachdem, wie die Mutter auf bestimmte Reize reagiert, schauen sich die Welpen das Verhalten ab und prägen es sich ein. So lernen die jungen Hunde schon früh, ab wann die eigene Individualdistanz gefährdet ist, wann ein Reiz angegriffen wird oder ob Flucht die notwendige Verhaltensweise ist. Sie beobachten das Muttertier auch bei der Nahrungssuche und erfahren, was fressbar ist und was nicht. Sie machen Rennspiele oder Zerrspiele mit Ersatzbeute wie zum Beispiel Stöckern oder Plastiktüten. In der sozialen Interaktion mit Artgenossen lernen sie ihre individuellen Strategien kennen, mit denen sie später auf Außenreize reagieren werden. Sie lernen den Umgang und was gefährlich ist und was nicht. Dies alles ist nur möglich, wenn die Umgebung so sicher ist, daß Spiel erst möglich wird. Spiel ist nur im sicheren Umfeld möglich (Feddersen-Petersen). So kann man den Umkehrschluß ziehen: Wenn gespielt wird, müssen sich die Welpen sehr sicher fühlen. Dies ist nach meinen Beobachtungen nur der Fall gewesen, wenn die Mutterhündin in der Nähe war. Das von mir beobachtete Spiel fand mit Geschwistern statt, bzw. unter Welpen, die zusammen lebten, weil sich vermutlich ihre Mütter zusammengeschlossen hatten. In einem Fall spielten drei Junghunde von etwa 8-10 Monaten mit einem erwachsenen Rüden. In diesem Sozialspiel lernen sich die Tiere gegenseitig kennen, die Stärken und Schwächen des anderen und auch die eigene Fitness. Dies ist für das spätere Überleben wichtig, denn nur wer fit ist, kann sich behaupten. "Survivel of the fittest".
Wenn die Welpen etwa 6 Monate alt sind, verlassen sie für einzelne Ausflüge die nähere Umgebung der Wurfhöhle und gehen mit dem Muttertier auf Nahrungssuche. Mit großer Wahrscheinlichkeit findet auch eine Futterprägung statt. Die Hunde bevorzugen die Nahrung, die sie in jungen Lebenswochen erhalten haben. Vermutlich wird dies in vielen Fällen Reis mit Fleisch oder Fisch sein, da dies häufig zu finden ist. An der Baustelle waren sogar drei Stellen eingerichtet, an denen die Thailänder gezielt Nahrung abgelegt haben. In keinem Fall habe ich Jagdverhalten in Bezug auf Beutefangverhalten gehen. Obwohl in Asien nicht nur Hunde, sondern auch Wasserbüffel, Ziegen, Katzen und Hühner frei laufen. Auch im direkten Kontakt zwischen Hund und Huhn war keine Intention des Hundes zu erkennen, dem Bewegungsreiz des Huhnes zu folgen. Der junge Hund wird in der Phase der Sozialisierung an diese anderen Tiere gewöhnt und lernt sie nicht als Beute kennen.
Die Hündin zeigt den Junghunden, wo man Nahrung findet, was fressbar ist und welche Distanz zu Menschen und Artgenossen einzuhalten ist. Flucht ist die Maßnahme erster Wahl. Auch das lernen die Hunde sehr früh. Angriff macht keinen Sinn, denn die Hunde stehen in der Regel alleine da und sind entsprechend leicht zu beeindrucken. Die einheimische Bevölkerung fackelt auch nicht lange. Fühlt sich ein Asiat von einem Hund bedrängt oder bedroht, bückt er sich und hebt einen Stein oder Stock auf, den er auf den Hund wirft. Die Hunde kennen diese Geste und laufen spätestens beim Bücken weg.
Ich habe in keinem Fall eine aggressive Handlung eines Hundes gegen einen Menschen gesehen und auch bei Kontakt der Hunde untereinander, gab es keine Anzeichen von Aggression. Nur in Vietnam, wo Hunde begrenzt durch Zäune und Türen zum Leben bei ihrem Menschen verpflichtet sind, da konnte ich Drohverhalten sehen. Hunde, die bellend und knurrend aber unsicher drohend hinter dem verschlossenen Tor standen und uns davor zu vertreiben versuchten. Auch dieses Verhalten lernen die Jungtiere durch Zuschauen: Die erwachsenen Tiere machen es vor, die Welpen machen es später als Junghunde nach. Schon früh lernen die Kleinen, was Gefahr bedeutet und wie man damit umgeht. So werden Verhaltensweisen tradiert und von Generation zu Generation weitergegeben. Eine optimale Anpassung an die Umwelt, in der die Hunde leben.

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