Woher kommen diese Hunde?

Ich habe auf meiner Beobachtungsreise die Menschen in den verschiedenen Ländern nach der Herkunft der Hunde befragt und folgende Antwort bekommen: "Die Hunde? Die waren schon immer da!" Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, daß die Hunde tatsächlich seit Generationen ohne wirklichen menschlichen Einfluß dort leben. Sie sind zwar den Menschen angeschlossen, weil sie ihre Abfälle entsorgen, führen aber ein weitgehend freies und unabhängiges Leben. Sie gehen wann und wohin sie wollen, pflanzen sich außerhalb menschlicher Behausungen fort und lassen sich in der Regel auch nicht einsperren. Seit Generationen leben diese Hunde so und sind damit keine sogenannten "Besitzerhunde". Darunter versteht man Hunde, die eigentlich einen Besitzer haben, der sich aus welchen Gründen auch immer, ihrer entledigt hat. Vielleicht kommt es dazu, daß die nachfolgenden Generationen auch wild geboren werden, dennoch lässt sich vermuten und nachvollziehen, daß sie irgendwann in häuslicher Gesellschaft lebten. Nicht so die Pariahunde. Sie sind schon seit vielen vielen Generationen auf sich gestellt und pflanzen sich entsprechend "natürlich" fort. Mit allen Konsequenzen der natürlichen Auslese.
Doch gehen wir gemeinsam auf eine weite Reise zurück zu den Anfängen der Entwicklung. Zweifelsfrei bewiesen ist inzwischen, daß der Haushund eine durch Domestikation entstandene Parallelform eines Caniden neben dem Wolf ist. Vermutungen zum Beispiel von Konrad Lorenz, nach denen Hunde auch unter dem Einfluß des Goldschakals entstanden sein könnten, haben sich inzwischen als falsch erwiesen. Weiterhin strittig hingegen ist die Frage, wann und wo genau sich dieses Parallelentwicklung abgespielt hat. Es gibt Wissenschaftler, die vermuten, es sei in Europa, wenn nicht gar in Deutschland die Wiege der Hundwerdung zu finden. Begründen tun sie es mit Knochenfunden, die als die ältesten jemals gefundenen Knochen gelten.

Bisher auch noch ungeklärt ist die Frage, auf welche Wolfsart der Hund denn nun eigentlich zurückzuführen ist. Während bekannte Kynologen wie z.B. Günther Bloch und Dorit Feddersen-Petersen den sogenannten Nordwolf für ihre Untersuchungen heranzogen, findet man bei den älteren Wissenschaftlern wie zum Beispiel Eberhard Trumler und Helmut Hemmer Aussagen, die heutigen Hunderassen wären im Wesentlichen aus dem Südwolf entstanden (Helmut Hemmer "Domestikation" S. 28). Hemmer schreibt dazu: "Der Hund nahm, wie ebenfalls im folgenden Kapitel gezeigt wird, seinen Ursprung in Wolfspopulationen Arabiens bis Südasiens." Von hier breitete sich der Hund Richtung Europa Zentral- und Nordasien sowie Amerika aus. In diesen Ländern wiederum traf der Hund in seiner Ausgangsform auf unterschiedliche geographische Populationen des Wolfes, aber auch auf wolfsfreie Gebiete. Es kam mit Sicherheit zu Vermischungen von den regionalen Wolfspopulationen mit dem Urhund. Der Wildfarbtyp vor allem der nordischen Hunderassen und der Schlittenhunde, wie zum Beispiel Husky und Malamute geht vermutlich auf die Einkreuzung des Nordwolfes zurück. (Helmut Hemmer "Domestikation" S. 29), während die Langhaarigkeit der nordischen Hunde im Vergleich zur überwiegenden Kurzhaarigkeit der südlichen Primitivhunde vermutlich mehr auf klimatische Anpassung zurückzuführen ist. Noch heute sehen wir in vielen Hunderassen auch bestimmte Farbschläge und Felllängen, die in Kombination mit anderen äußeren Merkmalen wie Proportionen oder Beinlängen große Ähnlichkeiten jeweils zum Südwolf oder Nordwolf zeigen.
Helmut Hemmer sagt zur Entstehung des Haushundes: "In großen Zügel lassen sich hoch entwickelte Nordwölfe von ursprünglich gebliebenen Südwölfen absetzen Die letzteren, nämlich die Wölfe der arabischen Halbinsel und Südasiens, dürfen als überlebende Restpopulatinen einer evokativen Altschichte des Wolfes mit relativ kleinem Gehirn und vergleichsweise schwachen Reißzähnen angesehen werden. Solche Wölfe waren im ersten Abschnitt es Eiszeitalters bis vor etwas 500 000 Jahren, auch in Europa verbreitet." (Helmut Hemmer: Domestikation S.34)
Vergleichende anatomische Untersuchungen am Unterkiefer von Haushunden und zentral-, ost- und südasiatischen Wölfen, aber auch Vergleiche des äußeren Erscheinungsbildes zeigen deutliche Ähnlichkeiten. (Helmut Hemmer: Domestikation S. 36)
Doch auch im Verhalten gibt es Parallelen, so wird vor allem die Lautgebung der Südwölfe im Vergleich zu den Nordwölfen durch einen offenbar verstärkten Anteil kurzen, scharfen Bellens beschrieben. Weiterhin sind bei ihnen die Gruppenbildung weniger ausgeprägt, die Südwölfe neigen mehr zum Einzelgängertum bzw. leben sie höchsten in kleinen Gruppen. Dies überrascht nicht, da die Südwölfe in ihrer Körpergröße deutlich kleiner und damit für die Jagd auf Großwild wenig geeignet sind. Großwild wie die Nordwölfe bevorzugen, ist auch nicht das Beuteschema des Südwolfes. Ihn interessieren mehr Kleinnager, die zu erlegen es keine Gruppe braucht.

Trumler geht sogar soweit, daß er die Untersuchungen, die an nordischen Wolfsschädeln zum Vergleich zu Haushundeschädeln gemacht wurden, als "Unsinn" bezeichnet. (Eberhard Trumler: Meine wilden Freunde S.209).
Warum ist das so wichtig? Nun, die Nordwölfe unterscheiden sich nicht nur in körperlichen Merkmalen von ihren südländischen Artgenossen, sondern auch im Verhalten. So haben die Südwölfe ein anderes Beuteschema bei der Jagd. Sie ernähren sich im Wesentlichen von menschlichen Abfällen, sind also ein Kulturfolger des Menschen. Sie neigen eher zum Einzelgängertum, denn die Kleinnager, auf die sie Jagd machen, können sie ohne Hilfe von Artgenossen erlegen und sind auch zu wenig, um zu teilen. Sie bilden keine Familienverbände, wie wir sie von den Nordwölfen her kennen. Maximal finden sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, gehen aber zeitweise auch wieder getrennte Wege. Denkbar ist auch, daß nur das Muttertier für die Jungenaufzucht zuständig ist. Für das körperliche Wohlbefinden und die Temperaturregulation mittels Kontaktliegen benötigen sie keine Unterstützung und auch die Lautäußerungen ähneln mehr den heutigen Haushunden, wie auch die Körperform. Außerdem sind die Südwölfe so gut wie überhaupt nicht erforscht. Wenn man also undifferenziert den Nordwolf als Basis und Urahn unseres Haushundes heranzieht, geht man möglicherweise von falschen Voraussetzungen aus. Mindestens aber in den Bereichen, in denen sich der Nordwolf deutlich vom Südwolf unterscheidet: In den Funktionskreisen Nahrungsaufnahme, Komfortverhalten und Sozialverhalten.
Die von mir beobachteten Hunde ähnelten in ihrem Verhalten, Aussehen und Lautäußerungen deutliche mehr dem Südwolf als dem Nordwolf.

Die in Asien wildlebenden Hunde entstammen vermutlich einer sogenannten Primitivrasse. Als Primitivrasse entstanden durch Vermischung unterschiedlicher Hundepopulationen mit der wilden Ausgangsform unter Berücksichtigung der selektiven Einflüsse.
Solche Primitivrassen sind von den Hochzuchtrassen abzugrenzen. Hochzuchtrassen entstehen aus strenger züchterischer Einflussnahme des Menschen. Selbstverständlich gibt es Vermischungen zwischen beiden, da es natürlich auch in Asien Rassehunde gibt, die sich mit den Primitivrassen paaren, wenn sie dazu Gelegenheit bekommen. So verwischt sich das äußere Erscheinungsbild immer mehr unter dem Einfluß der Rassehunde. In Asien haben Rassehunde einen anderen Stellenwert als die herrenlosen Streuner. Menschen, die es sich leisten können, kaufen einen Rassehund als Statussymbol.   Diese werden in der Regel auch an der Leine geführt oder in Käfigen gehalten, damit sie nicht entlaufen. Ich habe auch beobachten können, daß die Besitzer dieser Hunde offenbar sehr darauf bedacht sind, ihre Hunde nicht in Kontakt mit den Streunern zu bringen.

Gezähmt oder gewöhnt? Verwildert oder domestiziert?
Es ist nicht ganz leicht, eine Zuordnung der oben stehenden Begriffe zum Straßenhund in Asien zu machen. Zunächst klären wir erst einmal die Begriffe in ihren unterschiedlichen Bedeutungen:
Zähmung: Unter Zähmung versteht man (nach Helmut Hemmer in "Domestikation") einen Lernprozess eines Tieres, bei dem eventuelle Aggressivität gegenüber Menschen und der individuelle Fluchtabstand zunehmend mehr reduziert werden. Das gezähmte Tier verliert zunehmend mehr seine natürliche Scheu und assoziiert den Menschen nicht mehr mit Gefahr. Dieser Lernvorgang geschieht bei Haustieren bereits in frühen Lebensphasen, da die Haustiere im menschlichen Umfeld geboren werden und entsprechend früh Kontakt zu Menschen erleben. So könnte man meinen, das Tier sei die Zahmheit angeboren, doch das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich nicht um eine angeborene Zahmheit, sondern um den erlernten Verlust der Scheue und Aggressivität. Dies ist insofern wichtig, als das im Umkehrschluß man davon ausgehen muß, daß Hunde als domestizierte Haustiere eben nicht automatisch zahm sind, nur weil sie in der Nähe der Menschen leben. Man kann sich im Falle der Pariahunde in Asien gut vorstellen, daß sie scheu sind. Dies zeigen sie auch entsprechend mit Einhaltung ihrer Fluchtdistanz. Sie sind eben nicht früh auf den Menschen geprägt oder gewöhnt, sondern werden frei geboren und lange Zeit auch vor Menschen versteckt gehalten. So tradiert sich das angeborene Fluchtverhalten noch zusätzlich durch das Vorbildverhalten der Mutter, die in der Regel ängstlich und mit Flucht auf sich nähernde Menschen reagiert.
Dieser Gedanke ist vor allem wichtig im Hinblick auf die Auswahl der Tiere, die aus dem Ausland nach Deutschland geholt werden. Handelt es sich um Tiere, die nicht in menschlicher Obhut geboren sind, sondern vielmehr um solche, die in ihren wichtigen  Lebensphasen keinen Kontakt zu Menschen hatten, dann wird es ungleich schwieriger, diese Hunde in unsere hiesige Umwelt zu verbringen und ihnen menschliche Gesellschaft aufzuzwingen. Ein solcher Hund wird zeitlebens Probleme im Menschenkontakt haben. Dies sehen wir auch vor allem bei Hunden, die vielleicht sogar in Menschenhand geboren wurden aber dennoch eingesperrt in einem Keller oder Zwinger nahezu keinen Kontakt zu Menschen hatten. Man nennt diese Problematik Deprivationssyndrom.

Zähmung und Gewöhnung haben sehr ähnliche Grundprinzipien. Wobei es bei der Zähmung mehr um die Distanz zwischen Mensch und Tier geht und bei der Gewöhnung durchaus auch um Reize, die nicht unmittelbar etwas mit dem Menschen zu tun haben. So kann ein Hund sicher an bestimmte Geräusche gewöhnt werden, allerdings ist es nicht möglich, daß die Geräusche den Hund "zähmen". 

Domestikation hingegen ist ein sehr sehr langer Prozess, bei dem das ehemalige Wildtier bestimmte Veränderungen hinsichtlich seines Verhaltens aber auch seines Stoffwechsels oder äußeren Erscheinungsbildes durchlebt. Unter Domestikation laufen in der Regel mit mehr oder weniger gezähmten Tiere ab, was in der Natur der Sache liegt. Selbstverständlich ist die durch Menschen gesteuerte Fortpflanzung von Tieren mit solchen leichter, die ihre natürliche Scheu vor dem Menschen abgelegt haben. So haben Menschen die Tiere vermehrt, die sich in ihrer Anwesenheit weniger scheu zeigten. So wurde das Verhalten tradiert und genetisch fixiert und das ehemalige Wildtier zu einer Haustierart. Kennzeichen der Domestikation beim Hund sind u.a. ganzjährige Fortpflanzungsfähigkeit der Rüden, zweimalige Läufigkeit der Hündin, Felllänge und Struktur, Reduktion der Gehirngröße und -gewicht, dem allerdings Trummler in seinem Buch "Meine wilden Freunde" auf Seite 209 widerspricht.



Gemeinsames Jagdverhalten in der Gruppe trifft vor allem auf die Wölfe aus den nordischen Gebieten zu. Die Südwölfe hingegen sind auch alleine auf Jagd, da ihre Beutetiere Ratten, Mäuse, Kaninchen und Hasen sind, die ein Tier auch durchaus ohne Hilfe durch Artgenossen erlegen kann. Woher unsere Haushunde letztlich stammen, bleibt weiterhin unklar. Nach Trommler stammen unsere Haushunde überwiegend vom Südwolf ab, nur die nordischen Hunderassen wurden mit dem Nordwolf gekreuzt. (Trumler - meine wilden Freunde). 

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